Gasthermennotfallerlebnis.

9. Februar 2019

Eine meiner positiven Angewohnheiten ist es, vor dem Verlassen der Wohnung ein frisch gezapftes Glas Wasser zu trinken. Dabei ist mir heute Morgen ein seltsames Blinken an der Gastherme aufgefallen: Anstelle der aktuellen Wassertemperatur wurde in roten, wild blinkenden Lettern „E8“ angezeigt. Zusätzlich gab die Gastherme ein ungewohntes Knistern von sich. Da ich warmes Wasser zum Duschen hatte, musste der Fehler etwas mit dem Heizungssystem zu tun haben. Der ICE würde nicht auf mich warten, also öffnete ich fix die Klappe der Gastherme und blätterte im Handbuch. Ich konnte allerdings keinen Fehler namens E8 finden. Mittwoch wurde im Keller der Gaszähler getauscht, da gab es auch einen Fehler. Vermutlich, weil Luft in der Gasleitung war. Ich dachte so: Sicherlich der gleiche Fehler. Ein/Aus hatte da geholfen. Jetzt noch den Entsperrknopf drücken und dann schnell zum Zug!

Als ich zum Abend hin wieder zu Hause war, wurde das Wasser zum Händewaschen einfach nicht warm. Ach, da war doch was. Die Therme zeigte wieder E8 an. Ich öffnete die Klappe und wählte auf meinem Handy die eingeklebte Nummer vom Heizungstechniker. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Googlen brachte nichts, also suchte ich die Nummer des 24-Stunden-Dienstes aus dem Mietvertragsordner heraus.

Hausverwaltung sowieso, wie kann ich Ihnen helfen? – Guten Abend, ich bin der Herr sowieso aus der sowieso Straße. Meine Gastherme zeigt einen Fehler an, den es im Handbuch nicht gibt. Heizung geht nicht und es gibt kein warmes Wasser. – Okay. Ich rufe den Notdienst an, der meldet sich dann gleich bei Ihnen. – […]

Wenige Minuten später klingelte mein Handy: Guten Abend, schön dass Sie so schnell anrufen. Meine… – Wer sind Sie denn überhaupt und was wollen Sie von mir? – Ähm, ich bin der Mieter mit der kaputten Gastherme. – Ja, und wie heißen Sie? Es ist üblich am Telefon den Namen zu sagen, meine Güte. Ich bin Heizungstechnikermeister sowieso. – Oh, entschuldigen Sie. Ich dachte, die Hausverwaltung hätte Ihnen meinen Namen gegeben und das Problem geschildert. Ich bin der Herr sowieso aus der sowieso Straße. Meine Gastherme zeigt den Fehler E8 an und ich weiß nicht, warum. Heizung geht nicht, Warmwasser gibt’s nicht. – Jaja, das weiß ich doch alles. Schauen Sie halt ins Handbuch. Schönen Abend noch! – Nein, warten Sie. Im Handbuch gibt es keinen Fehler E8. – Meine Güte, welches Modell ist das denn? – Moment, bitte. Modell sowieso. – Haben Sie das Gerät ein und ausgeschaltet? – Ja, das habe ich. Ich habe auch die Entstörfunktion genutzt und den Fehler im Netz gesucht, allerdings konnte ich keine Lösung finden. – Im Netz gesucht, dass ich nicht lache! Haben Sie denn genug Wasser drin? Wie viel Bar wird denn angezeigt? – Die Anzeige ist bei null, aber das kann eigentlich nicht sein. Mittwoch erst war der Schornsteinfeger hier und da waren es noch 1,5 Bar. Die können ja nicht einfach verschwunden sein. Achja, und der Gaszähler wurde auch an dem Tag getauscht. – Jajaja, das kann nicht sein, aber eigentlich ja doch. Was ist denn nun wahr? Ich sage Ihnen jetzt mal was: Sie haben da kein Wasser drin und das ist kein Notfall. – Wie kommt das denn zustande? Das Wasser kann ja nicht einfach aus dem Kreislauf verschwinden. – Füllen Sie es halt nach, ich glaub’s ja wohl nicht. Haben Sie das etwa noch nie gemacht? Himmelherrgott! Kein Wunder, dass nichts geht! Wie lange wohnen Sie da? – Drei Monate. – Dann sei es Ihnen ausnahmsweise verziehen. Es ist trotzdem Ihre Pflicht, das Heizsystem zu kontrollieren und aufzufüllen. Ganz sicher nicht meine! – Und wie mache ich das? – Das gibt’s doch nicht, alles muss man selber machen. Hat Ihnen das niemand gezeigt?! Natürlich nicht, heutzutage unterschreiben die Leute einfach. Niemand hat mehr Respekt vor solch wichtigen Handlungen! Also. Unterhalb der Therme ist ein Hahn mit einem roten Griff, da schließen Sie den Nachfüllschlauch an. Das andere Ende kommt dann da hin, wo die Spülmaschine oder Waschmaschine angeschlossen ist. 1,5 bis 2 Bar. Haben Sie das verstanden? – Äh, nein. Da sind zwei rote Hähne unter dem Gerät. – Wie zwei? Einer kommt aus der Wand, nicht wahr? Und der andere so mittig rechts aus dem Gerät? Der an der Wand ist gelb. Haben Sie noch nie Gasleitungen gesehen? Gelb sind die! – Ja, ich weiß durchaus wie Gasleitungen aussehen. Aber da ist nichts Gelbes. – Doch, doch! Ich sehe das von hier! Gelb ist das! – Nein, wirklich nicht. Ich bin doch nicht farbenblind. – Jaja, wieauchimmer. Füllen Sie das Wasser auf und dann geht der Fehler weg. Es gibt nur einen Hahn, an den Sie was anschließen können. Ansonsten komme ich nächste Woche mal vorbei und schaue mir diesen roten Hahn an, rot, haha! Das ist in Europa genormt, genormt ist das, gelb ist der! – Ja, meinetwegen. Eine Frage noch: Es ist bestimmt richtig den Nachfüllschlauch zu entlüften, wie bei einem Infusionssystem, oder? Sonst spült man ja Luft in die Venen. – Ach, sieh‘ mal einer an. Da ist wohl jemand vom Fach. Ja, machen Sie das. Und wenn der Fehler dann immer noch da ist, rufen Sie die Nummer auf dem Display an. Vielleicht ist es ja wirklich was Ernstes. Und entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit. Ich dachte, Sie sind einer dieser Idioten […] – […]

Teils verwirrt und teils schockiert nach diesem wirklich seltsamen Telefonat mit einem mürrischen Menschen legte ich den Nachfüllschlauch bereit und sah mir ein paar Tutorials auf YouTube an, die ich als viel freundlicher empfand. Währenddessen zweifelte ich an meiner Intelligenz. Vielleicht bin ich tatsächlich einer dieser Idioten? Ich hab ja wirklich keine Ahnung, wie das geht Wie in den Tutorials empfohlen drehte ich alle Heizungsventile auf, legte Handtücher und Eimer bereit. Ich entfernte den Spülmaschinenschlauch vom Wasserhahn, fixierte dort das eine Ende des Nachfüllschlauchs und an dem roten Hahn unten innen in der Gastherme das andere Ende. Vorher überprüfte ich die Existenz der Gummidichtungen an beiden Enden des Schlauchs und schaltete das Gerät ab. Das obere Ende machte ich nur locker fest, um den Schlauch zu entlüften. Vorsichtig drehte ich mit der rechten Hand den Wasserhahn auf, bis es oben zu tröpfeln begann. Mit der linken Hand machte ich den Schlauch am roten Hahn richtig fest und drehte den Hahn weiter auf. Mit den Augen beobachtete ich die Wasserdruckanzeige. Bei etwa 1,7 Bar angekommen, beendete ich den Füllvorgang und schraubte den Schlauch wieder ab. Ich schaltete das Gerät an. E8. Ich schaltete das Gerät mehrmals an und aus, drückte die Entstörtaste: Nix. Also wählte ich die Nummer des Heizungstechnikers, die vom Display.

Einen schönen guten Abend, hier ist der Herr sowieso aus der sowieso Straße. Ich bin der Mieter mit dem… – Jaja, das weiß ich doch schon alles. Haben Sie’s aufgefüllt? Geht’s immer noch nicht? Wie viel Bar? – Ja, ist aufgefüllt auf 1,7 Bar. Und trotzdem kommt der Fehler. –  Gibt’s denn sowas. Dann liegt’s wirklich nicht am Wasserdruck. Sind Sie zu Hause? Dann komme ich in der nächsten Stunde vorbei. – Ja, natürlich bin ich zu Hause. […]

Eine Stunde später klingelte es und ein sehr alter, sehr hagerer Mann kam die Treppe hochgelaufen. Er hatte ein außergewöhnlich freundlich wirkendes Gesicht und sein überaus heiteres Wesen passte genau gar nicht zu der Person am Telefon. Und doch waren diese beiden ein und die selbe Person. Einfach schizophren!

Guten Abend. Kommen Sie herein, hier ist das Problemkind. – Ach, der Hahn an der Wand ist doch tatsächlich rot. Unglaublich, ich glaub‘ die spinnen! Das kann doch nicht rot sein, das darf doch nicht wahr sein! – Ich hab Ihnen ja gesagt, dass er nicht gelb ist. So, ich mache das Ding mal an. […] Nein, das kann nicht sein!? Wie kann es jetzt funktionieren?!? Ich schwöre Ihnen, vorhin ging es nicht. Ich habe es mehrmals versucht. – Jaja, ich glaube Ihnen ja. Ich hab herausgehört, dass sie kein Idiot sind, als Sie das mit dem Infusionssystem gesagt haben. Da wusste ich: Da hat sich jemand Gedanken gemacht. So ein Heizungssystem ist wie der Blutkreislauf, wissen Sie. Und Sie haben mitgedacht, wollten den Kreislauf schützen. Sehr gut, sehr gut. Sehen Sie, hier wird der Wasserdruck gemessen, das ist aber eine Sackgasse. Sie haben durch das einströmende Wasser Verkalkungen gelöst, die haben die Messung blockiert. Wie bei einem Blutkoagel, nicht wahr? – Das ist ja dann wirklich wie im Blutkreislauf. Intravenöse Zugänge, die länger nicht benutzt worden sind, muss man auch spülen. Man erzeugt mit einer Spritze Unterdruck und zieht bisschen Blut ab, damit man das Gerinnsel nicht in den Körper schießt. Lässt sich aber nicht immer vermeiden. Deshalb werden Zugänge, die lange halten sollen, mit Gerinnungshemmern geblockt. – Ach, das ist ja wunderbar. Wunder der Technik. Aber sehen Sie, der Wasserdruck wird immer höher, je wärmer das Wasser wird. Offensichtlich ist das Sicherheitsventil kaputt, sonst würde da hinten jetzt Wasser herausfließen. Ich bestelle nächste Woche ein neues. Wir müssen jetzt aber intervenieren. – Können Sie nicht den Hahn bisschen öffnen? Darunter liegen ja drei Handtücher. – Nein, auf gar keinen Fall! Das gibt eine Riesensauerei. Wie im Krankenhaus, voller Blut! Verstehen Sie?! Reichen Sie mir den Schlauch. Wir müssen jetzt Wasser ablassen, sonst wird der Druck zu hoch. Das ist nicht gut, nicht gut! Die Rohre könnten platzen! – Das ist ja dann wie bei Bluthochdruck. Kann man ein Aneurysma von bekommen. – Ja, genau so ist es. Heizungssysteme haben so viele Ähnlichkeiten mit dem Herz-Kreislauf-System. So viele, ich sag’s Ihnen! Es ist ganz faszinierend! […]

2 Antworten to “Gasthermennotfallerlebnis.”

  1. 500beine Says:

    Die Story hätte meinem Vater ganz besonders gut gefallen. Er war Klempnermeister und liebte ausgefallene Situationen mit der Kundschaft. Genial geschildert.

  2. Studio Glumm Says:

    Mein Vater war Klempnermeister, von daher hab ich deine Geschichte auch von seiner Warte aus gelesen. Besonders das Gleichnis Heizungssystem = Blutkreislauf hätte ihm gefallen. Rundum gelungen.


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