Er fragt sie nach ihrem Handy, sie sagt, es liegt in ihrer Handtasche. Er greift nach der Tasche, sucht das Handy und findet es, speichert seine Nummer ein und geht in die SMS-Anwendung, tut so, als ob er ihre Nachrichten lesen würde. Sie bemerkt das und es gefällt ihr nicht, sie versucht ihm das Handy zu entnehmen, er gibt sich stark und sie schwächelt, und als er aufsteht, um in das nächste Stockwerk zu flüchten, folgt sie ihm, schließlich will sie ihr Handy wieder haben.
Eine Stunde später mischen sich die Beiden wieder unter die Menge. Außer mir ist keinem der fünfzehn Partygäste das Fehlen der Beiden aufgefallen — jeder scheint mit sich selbst beschäftigt; mit sich, dem Alkohol und den Hormonen, deren Auslöser das jeweils andere Geschlecht ist.
Ich verspüre weder Hormone, noch beschäftige ich mich mit mir oder dem Alkohol. Ich verbringe den Abend damit, meine Freunde und die Freunde des gastgebenden Freundes zu beobachten.
Kurz vor Zwölf verlasse ich das Haus des gastgebenden Freundes und gehe in den Wald, um dort Frieden zu finden. Ich fühle mich frei und glücklich in der Orientierungslosigkeit, kann tief ein- und ausatmen, Ruhe genießen. Die Nacht ist sternenklar und das Laub unter meinen Schuhen knistert leise. Im Wald, da rauscht und raschelt es, doch Angst empfinde ich erst, als das niederschmetternde Gefühl der Realität meine Lungenflügel eindrückt und ich mich verloren und einsam fühle.
Die Lichter auf den Straßen und in den Häusern sind schon längst erloschen, als ich müde in’s Bett falle.
Gegen drei Uhr morgens schleicht sich mein Vater in das Zimmer und beschlagnahmt meinen Computer, in der Hoffnung, ich würde es nicht bemerken. Im Wohnzimmer sieht er sich meine Dateien, Chats und Mails an, während ich ein Stockwerk höher aus Angst kaum atmen kann.
Bin ich vorsichtig genug gewesen? Habe ich das DiskImage ausgeworfen, die Chats gründlich archiviert, Blog-, Reader- sowie Twitter-App nach der letzten Nutzung unsichtbar gemacht? Wird jetzt alles auffliegen, muss ich den Sommer vergessen? Werde ich diese Nacht überleben?
Erst zwei Stunden später legt mein Vater das MacBook zurück und geht in’s Bett. Nach wenigen Minuten der Erleichterung schlafe ich ein und träume vom Sommer, als ob dies der letzte Traum meines Lebens wäre.
25. April 2011 um 08:39
er interessiert sich für dich. nichtsdestotrotz ist das schnüffeln indiskutabel.
25. April 2011 um 12:14
Seine Interesse für mich beschränkt sich leider auf derartige Aktionen. Computer durchsuchen, Post lesen, Schulordner durchschauen. Ich merke das natürlich nicht, ich schlafe ja zu den Zeiten, bin in der Schule oder bei Freunden…
Sollte ich mal den Bus in’s Dorf verpassen, werde ich erzürnt angerufen, weshalb ich nicht schon zu Hause bin und wie ich mir das erlauben kann, das Essen würde kalt, ich sei so ignorant. Das verletzt mich.
Als Sohn möchte ich gelobt werden für jene Dinge, auf die ich stolz bin. Oder wenigstens darauf angesprochen werden. Doch nichts kommt; kein Lob, kein wohlwollendes Lächeln, kein Gespräch über irgendetwas, das mich interessiert. Stattdessen bekomme ich zu hören, dass ich unmenschlich und asozial sei, mich nicht gut in die Familie integriere und keine Ahnung von Religion hätte, dass ich grobmotorischer werden müsse, schließlich müsste ich früher oder später an Autos schrauben, dass meine guten Noten nicht gut genug seien, dass ich zu wenig für die Familie machen und bald den Teufel treffen würde, wenn ich mich weiterhin singend im Badezimmer oder stundenlang im Internet aufhalte.
Natürlich — ich könnte mehr Einsatz in Sachen Familie und Verwandtschaft zeigen, mich mehr für die gleichaltrige Tochter der Tante interessieren, zu den allabendlichen Gehirnwäschestunden in die Moschee gehen, weniger Zeit im Internet verbringen und meinem Vater bei handwerklichen Dingen zur Seite stehen, meine guten Noten noch besser machen, und so weiter.
Diese Dinge bedeuten mir aber nichts.
Es macht mich traurig, spontan nicht zu wissen, auf was meine Eltern stolz sein könnten. Früher war das anders. Auch da fallen mir jetzt keine Beispiele ein, aber ich weiß, dass meine Eltern früher stolz auf mich waren.
Ich hätte gerne, dass meine Eltern, nicht nur mein Vater, sich für mich interessieren, nicht dafür, was ich wo mit wem mache und was nicht.
Vielleicht wird das besser, sobald ich ausgezogen bin, vielleicht wird es das aber nicht und ich muss stärker werden, um das schmerzlos ertragen zu können.
25. April 2011 um 11:05
Diese Verletzung deiner Privatsphäre ist eine Form der Gewalt. Es bewegt mich sehr, was du in deinem Elternhaus alles mitmachen musst, und dass du dich nicht sicher fühlen kannst.
Ein Jahr noch… oder weniger?
25. April 2011 um 13:38
Ich bin nicht gerne in einem Elternhaus voller Unsicherheiten und Zweifel, deshalb ist es mein größter Wunsch, auszuziehen, fortzuschreiten.
Voraussichtlich werde ich nächstes Jahr um diese Zeit in der Stadt wohnen, in welcher ich studieren werde. Falls alles gut läuft, falls sich nichts zwischen mich und meine Freiheit stellt, falls ich richtig handle.
25. April 2011 um 13:06
Es ist manchmal so erhellend und verwirrend zugleich, wie die Intention einer Handlung die… die eigentliche Handlung bedeutungslos macht. Wie viele wünschen sich, ihre Eltern würden sich so um sie bemühen, so fanatisch beinahe, und wie viele wünschen sich, sie würden etwas von der beruhigenden Desinteresse erfahren.
25. April 2011 um 13:52
Desinteresse ist stets beunruhigend. Was dich und mich beruhigen würde, ist eine Verlagerung der „Interessen“ unserer Eltern. Wir wollen, dass sie sich für „uns“ interessieren, nicht dafür, was wir zum Beispiel im Internet machen.
Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zuletzt gefragt wurde, wie es mir geht. Als wäre es „selbstverständlich“, wie es mir geht. Nicht, dass ich wollen würde, ständig nach meiner Befindlichkeit gefragt zu werden, aber fehlen tut es halt doch.
Die Balance ist wichtig, und bei mir zumindest sind die Dinge nicht im Gleichgewicht.